Ambiente. Das Leben & seine Räume

12.-13. September 2008, Barocke Suiten, quartier21/ MQ

Das Ambiente muss stimmen. Das gilt sowohl für den Nachtclub, für das Pandabärengehege, für die Urlaubsreise als auch für das Milieu der Einnistung eines Eies in der Gebärmutter. Das Ambiente bringt uns auf die Spur des Paradigmas des Lebens und der Umwelt. Die Moderne hat ‚das Leben’ auf eine zweifache Weise zum Gegenstand gemacht: als Objekt des Wissens wie auch als Objekt politischen Handelns. Beides, so eine These, die wir dieser Tagung voranstellen wollen, war nur möglich, weil die Bedingungen eines Lebens, seine impliziten Voraussetzungen und seine Grenzen in zunehmendem Maße expliziert wurden. Erst indem das, was dem Leben als seine notwendigen Bedingungen vorausliegt, was also das Leben allererst ermöglicht, weil es ein geeignetes Milieu, eine Umwelt bereitstellt, sichtbar und sagbar wurde, wurde das Feld der Biopolitik möglich und die Ambiente gestaltbar.

Damit soll ein alternativer Zugang zu einer Archäologie der Biopolitik vorgeschlagen werden, der nicht von den juridischen Kategorien der Souveränität oder einer Ontologie des Lebendigen ausgeht (Agamben), sondern die Wissensformen, technischen Gesten und Phantasmen untersucht, die sich der für die Moderne charakteristischen Bewegung der Explikation als „aufgedeckter Einbeziehung von Hintergrundgegebenheiten in manifeste Operationen“ (Sloterdijk) zu den verschiedenen historischen Zeitpunkten widmeten.

Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich drei heuristische historische Epochen konturieren: in der ersten, die das 18. Jahrhundert umfasst, ist der Mensch zusammen mit allen anderen Lebewesen in eine Ökonomie der Natur eingebettet (Linné). Der Mensch hat die Aufgabe, mit technischen, vor allem landwirtschaftlichen und landschaftsgestaltenden Mitteln seine Umwelt so zu gestalten, dass die Aufrechterhaltung dieses dynamischen Gleichgewichts gewährleistet ist. Die Natur wird dabei als Totalität verstanden, in der auch die gesellschaftliche Ordnung enthalten ist und in der jedes Element einen vorbestimmten Platz und eine genau festgelegte Funktion hat.

In der zweiten Phase (grob: im 19. Jahrhundert) scheint diese Ganzheit verloren zu gehen: die Entdeckung von ‚Milieus‘ führt sowohl in der Soziologie als auch in der Biologie zu einer Vervielfältigung heterogener Umwelten. Diese werden zum Gegenstand je eigener wissenschaftlicher Disziplinen, die sich vor allem der experimentellen Erforschung widmen. Damit entstehen verschiedene, nicht mehr ineinander übersetzbare Ordnungen von Lebensbedingungen: die - nun als veränderlich verstandenen – Umweltbedingungen (Lamarck, Darwin), das physiologische ‚innere Milieu‘ (Bernard), die sozialen Milieus (Durkheim, Zola). In diese Epoche fällt dann auch die politische Zuspitzung des Begriffs der Lebenswelt zu einem Lebensraum, den es zu erobern gilt.

In der dritten Epoche (grob: ab dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts) werden diese verschiedenen Milieus zunehmend durch den Begriff des ‚Systems‘ kolonisiert. Ein Denken in Systemen verzichtet zwar auf eine vorgängige, geordnete Totalität, ermöglicht aber durch abstrahierte Funktionsschemata eine neue Gesamtschau, die nun direkt an das technische Phantasma der Verbesserung und Effizienzsteigerung und – einmal mehr – an teilweise religiös grundierte Holismen gebunden ist. Gleichzeitig entsteht die Idee einer gleichsam biokybernetischen Regulierung von ‚Leben’ als einem Spiel zwischen einer „totalen Potentialität" des Keims, den Regeln einer "Entwicklungsmechanik" des Organismus und Umweltgegebenheiten. Ideale einer möglichst reibungslosen, verlustfreien und durchaus lustvollen Verkoppelung von Einzelwesen und System, die Entstehung technischer und ökologischer Raumparadigmen, die Entanthropologisierung des Verhaltens in Behaviourismus und Kybernetik und verschiedene Versuche der Überwindung jener ‚two cultures’ (der Kultur und ihren Wissenschaften, die Natur und ihre Wissenschaften), die die menschliche Existenz in eine kulturelle und naturhafte geteilt hatten, sind Wegmarken dieser Entwicklung.

Man könnte diese Wendung auch mit Wiener Wendung übertiteln: Norbert Wiener gilt als einer der Begründer der Kybernetik, der Wiener Heinz von Förster als der  Übersetzer der analytischen Philosophie in die Kybernetik und als einer ihrer wichtigsten Sprecher, Oswald Wiener schrieb bereits in den 60er Jahren als Appendix seines Romans „die verbesserung von mitteleuropa“ seinen luziden Entwurf eines Bioadapters, der den Menschen in einem ‚Glückanzug’ der Umwelt entzieht, diese aber als lebenserhaltende Maßnahme weiterhin simuliert und der zwanzig Jahre vor Gibson die Idee eines Cyberspace vorstellbar machte. Der Neurophysiologe und Musiker Manfred Clynes wiederum, ebenfalls gebürtiger Wiener, gilt gemeinsam mit Nathan Kline als der Erfinder des Begriffs ‚Cyborg’, der im Zusammenhang mit dem Entwurf von lebenserhaltenden Maßnahmen für Astronauten steht.